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In der Heimat der Wikinger

Fünen rund

   

I

"Da hinten steuerbord, bei den Bojen, müssen wir nicht da hin?" gibt Martin zu bedenken. Die Ottenseer Förde ist hier kilometerbreit und dezimeterflach wie ein Haff. Direkt vor uns liegt ein ungewisser, dunkelgrauer Streifen Land und in der Mitte eine breite, mittelgraue Lücke Wasser: "Wir müssen dorthin," erwidere ich. Harald aus Heidelberg steuert Mjølnar, unseren von den Ottenseern geliehenen Inrigger-Zweier, verzweifelt durch die heftigen Wellen. Wir sind mit dem ersten Licht aufgebrochen, um noch vor dem Sturm an Fyns Hoved, der Nordostspitze der Insel Fünen in Dänemark zu umrunden. Bereits jetzt ist der Wind heftig. Der Inrigger vertrüge noch eine Windstärke mehr, die Mannschaft jedoch nicht. Steffi aus Speyer hat Fløjsand, den anderen Inrigger, besser im Griff, übernimmt deutlich weniger Wasser. Dann taucht ein an Backbord erwarteter Steg auf Steuerbord auf. Die angesteuerte Mündung der Förde in das Kattegat entpuppt sich als besonders niedrige Nehrung, an der entlang wir jetzt am Wind uns zur offenen See durchkämpfen müssen. Der Wasserstand im Boot steigt und die Moral sinkt. Sollen wir doch rechts ran an den Steg und in Wind und Regen unser Zelt aufbauen?

Irgendwie schaffen wir es dann aber doch aus der Förde heraus und hangeln uns entlang des Windschattens der Halbinsel Hindsholm. Nicht, dass es einfach ist, in diesem Gewirr von Buchten und vorgelagerten Inseln sich zurechtzufinden. Der Regen und der Wind nehmen immer mehr zu, die Wellen tollen, unsere Kräfte schwinden, und es wird klar, dass wir heute nicht um Fyns Hoved herumkommen. Also die Boote in Korshavn auf den Strand, das Gepäck über die Schulter und zu Fuß zum Campingplatz auf der anderen Seite Halbinsel. Wir haben eine Hütte dort gemietet, die Heizung bollert, der Sturm heult und unser aller Ruderkleidung trieft wie in einer Tropfsteinhöhle.

II

Schulklassen umhorden Fyns Hoveds Halbinsel und Steilufer und schießen Handyfotos, wie wir diesen wildromantischsten Teil Fünens umrudern. Der Sturm ist durchgezogen, der Wind etwas schwächer als am Vortag. Wir machen an der Mårhøj halt, einem hoch aufragendem Hügelgrab grünen Grases in diesen welligen, dünnbesiedelten, von übermannshohen Knicks aus rotbeerigem Weißdorn gegliederten sattbraunen Äckern.

Dänische Landschaftsmaler gründeten hier die Künstlerkolonie Kerteminde. Das kleine Städtchen am Ausgang der gleichnamigen Förde in den Großen Belt ist wie aus dem Bilderbuch: Niedrige, bunte Fachwerkhäuschen, von Kletterrosen, bewachsen steigen am Strand hinauf zu einem kleinen Hügel mit Windmühle. Hyggelig ist das das dänische Wort dafür, und dieses Bild wurde erst durch die Kunstkolonisten von der Realität zu einem idealen Topos.

An unserem ersten Ruhetag rudern wir landeinwärts ins Kertinger Noor. Wir sehen die Hafenbecken der Ottenseer Förde, an denen wir vor zwei Tage zuvor vorbeigerudert sind, diesmal von der Rückseite. Hier zweieinhalb Kilometer umzutragen wäre schneller gewesen und vor allem weniger stürmisch. Drei Kilometer vom Kerteminder Ruderclub entfernt, verbirgt die Erde das Ladbyschiff. Das Wikingerboot fuhr aber nie zur See, sondern diente einem reichen Kaufmann nach seinem Tod für die Fahrt nach Helheim. Alles ist spärlich erleuchtet, das Schiff hat sich zu einem bloßen Erdabdruck zersetzt, die Pferdegerippe, als Proviant für die Fahrt ins Totenreich gedacht, sind unheimlich und echt.

III

Schon seit Fynshoved konnte man sie sehen, die Große-Belt-Brücke: als einzige Höhenkonstante in einer Landschaft, die ansonsten nur aus Meer und flachen Inseln besteht. Drei Tage später unterqueren wir das Bauwerk, das die Dänen lehrt, sich als Gesamt-Dänen zu fühlen. Seitdem diese Brücke Fünen und Seeland verbindet, ist man nicht mehr bloß der Bewohner seiner Insel, der sich drei Mal überlegt, ob er sich wirklich mit den Menschen von der Nachbarinsel zu schaffen macht, die früher anderthalb Fährstunden und das Korsett eines Fahrplanes entfernt lag. Die Brücke ist emblematisch: Eine lange, flache Fachwerkbrücke strebt ab Fünen ins Meer, um sich ungefähr auf der Mitte zu Europas längster Hängebrücke aufzuschwingen und der Schifffahrtsrinne Platz zu verschaffen.

Kurz hinter Knuds Hoved liegt Fünens alte Hauptstadt Nieburg. Die Stadt war lange vor Kopenhagen auch die Hauptstadt Dänemarks. Ein Renaissanceschloss zeugt noch davon und erklärt uns, wie der dänische König seinen Untertanen das Luthertum aufzwang und damit die kulturelle Klammer, die überhaupt erst das Dänischsein im Leben der einfachen Landbevölkerung spürbar machte. Nämlich in der Sprache: Schulpflicht und die Bibelübersetzung waren der erste Schritt zur Einebnung dialektaler Unterschiede.

Ist es die Kultur oder die tagelange Kälte, die Rüdiger irgendwann ermüden und in der Kirche einschlafen lässt? Steffi friert, der heiße Kakao kann ihre Stimmung nicht erhellen und sie packt sich in ihre letzte Ersatzkleidung ein, welche die heftigen Regenschauer der letzten Tage trocken gelassen hat, als wir in unsere Zelte kriechen. Direkt neben dem Nieburger Ruderclub haben wir sie aufgebaut, denn eine Woche vor Reiseantritt hat es in deren Bootshaus gebrannt.

IV

Endlich wird es warm. Pünktlich, als wir die Südsee erreichen. Stefan traut sich erstmals, von Urlaub zu sprechen. Der Schwenburger Ruderclub ist das Tor zu dieser Inselwelt an Fünens Südküste, und da wir im Reiseplan sind, bleibt Zeit für die Umrundung der wald- und villenbestandenen Insel Thurø. Die engen Sunde, die dichte Bebauung und der starke Motorbootverkehr erinnern stark an Berlin.

Die Schwenburger haben uns einen Braunschweiger als Proviant mitgegeben. Rüdiger zerteilt ihn gerecht in sechs Stücke. Nur frisch zu genießen! Abends wäre der Braunschweiger schon fade. Uns schmeckt das mit karamellisiertem Zucker bedeckte Gebäck.

Eine schmale Brücke vermittelt zwischen Thurø und Fünen. Die Tide - ja, auch in der Ostsee gibt es Gezeiten! - bestimmt, dass wir gegen den Strom unter ihr durchrudern. Die Fløsand macht es durch den Brückenbogen an Steuerbord vor. Ich steuere hinterher, in dem Glauben, mich einfach abfallen lassen zu können, wenn ich etwas verkehrt mache. Ich habe nicht mit der Unterströmung gerechnet, die uns wie ein Magnet gegen den Brückenpfeiler drückt. Erst Martins und Haralds beherztes Rückwärtsrudern rettet Mjølnar das Leben und uns die Urlaubskasse.

V

Auch der nächste Tag ist von der Tide bestimmt. Genau zu Mittag müssen wir an der Insel Svelmø sein. Dann ist dort Hochwasser. Zwischen Fünen und dem Inselchen ragt ein Straßenleitpfosten mitten im Wasser auf. Bei Niedrigwasser ist die Stelle ganz trocken, dann markiert er die Wattstraße, auf der Autos und Traktoren auf die Insel gelangen. Wir wollen nicht den weiten Umweg außen herum in den Wind und rudern vorsichtig zwischen einzelnen Findlingen genau auf den Pfosten zu. Der Untergrund ist steinig, doch die vierzig Zentimeter Wassertiefe retten uns über die Flachstelle ohne Grundberührung. Riemenkrebse verbieten sich von selbst.

Die anderen Inseln, wie Avernakø und Drejø werden von einsamen Fähren angesteuert und sind in die immensen Wasserflächen malerisch hineingestreut. Sie verlieren sich aber nicht in der Unendlichkeit, da Arrö, eine langgestreckte Insel samt hoch aufragender Hügelkette auf ganzer Länge den südlichen Horizont abschließt. Der Ausdruck einer dänischen Ägäis würde treffender die Landschaft charakterisieren. Wir brauchen siebeneinhalb Stunden für achtundzwanzig Kilometer bis Foburg, denn auch wenn es warm und sonnig ist, bläst uns ein heftiger West entgegen. Die Bäume haben sich dem angepasst, flüchten schräg vor dem Wind.

Oberhalb Foburgs ragen die Svaninger Hügel hundertdreißig Meter auf, dicht bestanden mit Wald, Moor und Heide. Sie waren die Inspirationsquelle der zweiten Künstlerkolonie von Fünenmalern. Ich wandere. Durch hügeliges und hyggeliges Dänemark. Heute rudern wir nicht, sondern gehen getrennte Wege. Stefan verlässt uns; stattdessen kommt Holger.

VI

Um Horneland, der Südwestspitze Fünens, herum, legen wir an einem verrotteten Steg und einer verlassenen Fischerhütte an. Am Nachbarsteg machen sich ein alter, brummiger Fischer und ein aufgeregter, junger mit meckriger Diskantstimme an einem muckenden Boot zu schaffen, das nicht in die Pötte kommt. Pat und Patachon - so nenne ich die beiden - tuckern los, tuckern krakeelend zurück, und basteln erneut am Außenborder herum. Und wieder geht es los, ehe das Boot außer Sicht- nicht aber außer Hörweite verschwindet.

Wir latschen durch die Felder hoch nach Horne zur Kirche. Von der Ferne gut zu sehen, verschwindet sie, wenn man sich ihr nähert. Sie ist die einzige dänische Rundkirche außerhalb Bornholms. Als Wehrkirche bildet der komplett kreisrunde Bau Umriss einen guten Schutz gegen Angreifer. Strahlend weiß steht die Kirche auf ihrem ganz Horneland beherrschenden Hügel. Ich suche den Apfelbaum vor der Kirche, der in "Adams Äpfel" von Gottes Plagen heimgesucht wurde, doch ist diese Requisite von A. T. Jensen und seiner Filmcrew wieder mitgenommen worden.

VII

Der Kleine Belt liegt spiegelglatt in der warmen Windstille des Frühherbstes. Man glaubt, mit einem Skiff quer rüber nach Jütland rudern zu können. Mit unseren Inriggern könnten wir es, denn durch Inselhopping von Assens über Bagø und Aarö würden wir die erlaubte Maximaldistanz von fünf Kilometern von Land zu Land einhalten.

Wir rudern weiter an Fünens Westküste entlang. Selten tauchen Seehunde auf. Lehmige Steilufer und Kieferforste wechseln sich ab. An der Ost- und Südküste nur sporadisch vorhanden werden Schweinswale jetzt zu unseren ständigen Begleitern. Kleiner als Delphine, haben sie mit ihrer abgerundeten Schnauze ein sympathischeres, sanfteres Aussehen, und werden von jenen manchmal sogar gefressen.

Die Gegend wird städtischer, der Motorbootverkehr hektischer, auch die Berufsschifffahrt zwängt sich durch den teils nur gut fünfhundert Meter breiten Snævringen. Der Middelfarter Ruderclub liegt direkt an der stählernen Eisenbahnbrücke, die Übernachtung hier ein akkustisches Ereignis vergleichbar mit dem Bootshaus des Ruderclub Süderelbe. Fast jeder dänische Fernzug und jeder Güterzug muss hier rüber.

Dahinter ragt die neuere Kleine-Belt-Brücke ragt mit ihren Pylonen hervor. Drei Tage Windstille und Sonne liegen hinter uns. Als wir Fünens Norden und damit das Kattegat wieder erreichen, schlägt das Wetter um. Grauer Wind und grauer Regen vor abstürzenden Bäumen. Die Steilküste bröckelt hier in diversen Stürmen. Jemand hat in diese Naturschönheit ein Ferienhaus hineingesetzt. Es hängt unbewohnbar mit schrägen, windschief gespreizten, rot gestrichenenen Wänden im Hang und wartet nur noch darauf, vom nächsten Jahrhundertsturm ins Meer gespült zu werden.

VIII

Hinter Bogense wollen wir dem heftigen Wind entgehen und rudern nicht um die vorgelagerten Inseln herum. Dafür müssen wir erneut über einen Wattenweg hinweg. Bei Ebbe müssen wir es bis spätestens halb neun darüber hinweggeschafft haben. Also ablegen mit dem ersten Licht um kurz vor sieben. Aufstehen um vier.

Der Wind bläst aus dem Nordosten und staut die Ebbe. Das bleibt so die nächsten Tage. Das Wasser ist flach, die Wellen werden wild zerstückelt, rütteln uns durch, lassen keinen ruhigen Ruderschlag zu. Holger ist der größte in der Fløjsand, und obwohl diese nur eine Welle weiter parallel zu uns fährt, sehe ich oft von dem Boot nicht mehr als Holgers Kopf.

Wir wollen in Hasmark im Sommerhaus des Ottenseer Ruderclub übernachten. Kilometerlang ist hier der Strand, Ferienhütte an Ferienhütte, wo soll da die gesuchte sein? Ich beschließe irgendwann, sie erreicht zu haben, und wir rauschen vor der Welle mit Wucht auf den Strand. Es sind von dort noch neunhundert Meter zum Ziel. Wir schultern unser Gepäck. Harald leiht sich eine herrenlose Schubkarre aus.

IX

Am nächsten Tag warten wir bis zum frühen Nachmittag, ehe der Sturm ein kleines bisschen nachlässt, dass wir es wagen können abzulegen. Immer noch drückt die Brandung frontal gegen den Strand. Harald und Martin versuchen vergeblich Mjølnar mit Ruderschlägen in Position zu halten. Ich stehe im Wasser und versuche das Steuer einzufädeln. Die Wellen schlagen hoch und runter. Jedes Mal kommen wir der Buhne näher. Im letzten Augenblick ist das Steuer fest, ich hechte ins Boot, Martin drückt uns mit dem Peekhaken von den Steinen weg, und Harald kämpft uns verzweifelt ins offene Meer. Welle um Welle scheppert ins Boot. Nur weiter, raus aus der Brandung. Weiter draußen wird es ruhiger, und zwischen den Wellen suche ich nach Gelegenheiten, das halbvolle Boot leer zu schöpfen. Immer den Strand im Blick. Falls es zu gefährlich wird, bleibt nichts anderes, als dorthin wieder zurück und im Wald der Nehrung, an der wir gerade entlang rudern, zu zelten. Sonst wechseln wir alle halbe Stunde die Position: eine halbe Stunde rechts rudern, eine halbe links, eine halbe steuern. Jetzt ist in den Wellen ist nicht daran zu denken. Wir würden während des Wechsels kentern.

Irgendwie aber schaffen wir es um die Enebærodde herum in die Ottenseer Förde. Endlich wird der Wind schwächer, schläft nach drei Tagen ein kurz vor Sonnenuntergang, als wir wieder das Bootshaus des Ottenser Ruderclub erreichen. Geschafft. Im doppelten Sinne des Wortes. Ich habe Fünens Nordküste in "Sturmküste" umgetauft.

Wir haben keinen der drei Reservetage für Fünens Umrundung gebraucht und stehen am nächsten Tag im Ottenseer Stadthafen vor einem Container. Kaj, einer der in Ottensee lebenden Färinger, schließt ihn auf und darin ist das Färingerboot des Ruderclub Sleipnir. Die Exilfäringer haben ihre Art des Ruderns mit nach Fünen gebracht: ein Mittelding aus Barke und Inrigger, ein Sechser mit Steuermann. Alles traditionell nur aus Holz einschließlich der Holznägel. Statt Messingdollen halten Ledergurte die Riemen. Das hohe Dollbord ist notwendig, da diese Art Boot früher das Verkehrsmittel zwischen den sturmgeplagten Färöern waren. Es bedarf einer gut eingespielten Mannschaft; dann nimmt so ein Boot trotz seines Gewichtes fünf, sechs Stundenkilometer Fahrt auf. Wir rudern Sleipnir - das Boot heißt nach seinem Verein - auf dem Ottenseer Kanal zur Odinsbrücke und zurück. Ich taxiere das Boot nach seiner Gepäckzuladung und frage mich, ob nicht die wahre Heimat der Wikinger die Färöer sind. Und durch meinen Kopf geistert eine Wanderfahrt zu den Färingern.

André Gesche


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