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Apocalypse Eider!

14.08. - 24.08.2015

   

Wie aus dem Nichts taucht plötzlich dieser kräftige Mann in seinem blauen Overall und einem rauschenden Funkgerät in der Hand über uns auf. Mit kräftiger Stimme ruft er die eiserne Spundwand herab: "Wollt ihr durchschleusen, oder gegen den Strom zurück?" Wir wollten weder das eine, und schon gar nicht das andere. Wir hatten ein Problem, und dies war nicht das erste...

Rückblende: Als André im Jahre 2011 von einer möglichen Eidertour im Jahre X berichtete, sagte ich spontan zu. Als sich 2014 abzeichnete, diese Tour wird im Folgejahr stattfinden und bummelig zehn Tage dauern, war ich zwar etwas verwirrt und irritiert, aber auch neugierig. Warum braucht man 10 Tage mit einem Ruderboot für einen ca. 150 km langen Flussabschnitt? Meine Zusage aus dem Jahre 2011 konnte ich aus gesellschaftlichen Gründen nicht rückgängig machen, und die Dauer der Tour klang nach einem deutlich erhöhten Schwierigkeitsgrad - also irgendwie spannend. Seltsam war auch, dass niemand außer Martin sich für diese Tour anmeldete, obwohl Sommerferien waren. Zehn mysteriöse Tage mit Martin und André auf der Eider standen also an. Am 14. August verluden wir auf der Veddel unser Boot. "Gesche-Reisen" ging an den Start.

Der Boots- und Personentransfer mit unserem Vereinsfreund "Coche" aus Ratzeburg verlief termingerecht und absolut reibungslos. Sicher und gut gelaunt am Naturcampingplatz Wrohe am Westensee angekommen, wurde zeitnah das Boot aufgeriggert, Packsäcke rollten durchs Gras, Zelte wurden errichtet, Luftmatratzen und Schlafsäcke ausgerollt, Gaskocher zusammengeschraubt. Die Uhr hatte vier geschlagen, und André schlug eine "kleine" zweistündige Wanderung zu einem historischen Gutshaus vor. Zu dritt machten wir uns neugierig auf den Weg durch den beeindruckenden Wald rund um den Westensee. Der Marsch dauerte dann gut vier Stunden und ohne Zuhilfenahme eines digitalen Navigationsinstruments wären wir wahrscheinlich von Jägern bei Einbruch der Dunkelheit erschossen worden. "Gesche-Reisen" hatte sich verkalkuliert und mich überkamen erste Zweifel an der Sicherheit unserer Reise. Durstig tranken wir zwei Astra, aßen eine Stulle und legten uns dann in der lauen Sommerluft nieder zur Ruh. Nachts donnerte ein ordentliches Gewitter über uns hinweg, so dass wir am nächsten Morgen die Zelte nass verpacken mussten. Um 09:45 Uhr stachen wir in den Westensee.

Als wir ungefähr sechs Stunden später am Steg des Rendsburger Ruderclubs anlegten, hatten wir eine sehr abwechslungsreiche Strecke (ca. 34km) zurückgelegt. Ein spiegelglatter See, eine sehr(!) schmale Eider und ein stark befahrener Nord-Ostseekanal waren zu rudern. Mit unserem federleichten Alu Bootswagen bewältigten wir spielend die matschigen Ufer an der Umtragestelle zum Flemhuder See. Ein guter Auftakt.

Das Bootshaus der Rendsburger hat eine angenehme Patina angesetzt. Dort stehen etliche Pokale, hängen viele Fotos, der Boden ist abgewetzt und knarzt, der gut bestückte Tresen lässt auf zünftige Feste nach Olympiasiegen schließen. Ein guter und sinnlicher Ort um einen Ruhetag einzulegen. Dicht bei war außerdem ein prächtiger Edeka Markt, vor dessen Whisky Regal Martin und ich sehr lange Erfahrungen austauschten. Die Wahl fiel dann auf Ardmore. Wir fingen an uns aufeinander ein-zu-grooven.

Den Ruhetag verbrachten wir selbstverständlich nicht ruhend, sondern aktiv in Kirchen, Museen (historisches, jüdisches), unter der Rendsburger Hochbrücke und beim Kochen in der geräumigen Küche des Bootshauses. Zwischendurch begutachteten wir bei bestem Sommerwetter die zu bewältigende Umtragestrecke des nächsten Tages. Es wurde grob Augenmaß genommen und scheinbar schien alles ganz easy zu sein. Wir hatten uns getäuscht.

Der nächste Tag begann grau und versprach Regen. Frühstück, abwaschen, aufklaren, packen, Boot klar machen: 09:30 Uhr ablegen. Tschüß Rendsburger Ruderclub, es war sehr schön bei euch! Bereits nach 500 Metern war die erste Etappe des Tages beendet. Wir stiegen um 10:00 Uhr nass aus, wuchteten das Boot auf den Bootswagen und machten uns im zunehmenden Regen zu Fuß in Richtung Rendsburger Innenstadt. Ungefähr 1000 Meter mussten wir das vollbepackte Boot schiebend und rollend zur Eider bringen, vorbei an H&M und staunenden Passanten.

Inzwischen goss es in Strömen und die am Vortag begutachtete Strecke erwies sich als an einer Stelle zu eng - "Sigyn" war zu lang. Wie wir Sie auch positionierten, sie passte einfach nicht hindurch. Die Szene erinnerte natürlich stark an den großartigen Herzog Film "Fitzcarraldo"...; der Regen, das Boot, das nicht zu bewältigende Hindernis und die zunehmend deprimierten nassen Gestalten.

Wir scheiterten erfolgreich in der Rendsburger Innenstadt und deshalb hieß unser Reiseleiter André von nun an inoffiziell "Kinski". Martin hatte am Vortag mit mathematisch geschultem Auge den Winkel bzw. den Radius zur Durchfahrt relativ unrichtig eingeschätzt und hieß von nun an inoffiziell "Einstein".

Wir erreichten dann zum Glück über Umwege irgendwann wieder das Ufer der Eider, stiegen verspätet und reichlich nass wieder ein und ruderten flott nach Lexfähre, wo uns ein erstaunlich gut gelaunter Platzwart am Yachthafen begrüßte. Das einzige Lokal am Platz hatte natürlich geschlossen, aber immerhin durften wir in der Bootshalle nächtigen und konnten die Zelte zum Trocknen aufhängen. Der Wind hatte inzwischen ordentlich zugelegt und Regen lag immer noch in der Luft. Sommer in Norddeutschland. "Kinski" und "Einstein" erwiesen sich an diesem Abend als wahre Meister der Gaskocher-Küche - Chapeau! Die stürmische Nacht habe ich dann tief schlafend unter einer Yacht verbracht.

Aufbruch-Routine am vierten Tag: 09:30 Uhr ablegen, schleusen und los. Wir gleiten über eine spiegelglatte, tiefschwarze Wasserfläche - eisenhaltiges Moorwasser, viel Phantasie bedarf es nicht, um sich die ungeheuerlichsten Kreaturen in der Tiefe vorzustellen. Bis zur Schleuse Nordfeld werden wir noch tidefrei fahren. Wir sind fast ganz allein in der stillen, malerischen Marschlandschaft. Das rhythmisch, monotone Rollgeräusch der Sitze lädt zur Meditation ein. Ein paar Wasserwerker stehen in Gummihosen im hüfthohen Wasser des Ufers und stopfen Reisig zwischen Pfahlreihen. Passend zu dieser eher herbstlich anmutenden Stimmung rezitiert "Einstein" die ersten Zeilen des Oktoberliedes von Theodor Storm:

"Der Nebel steigt, es fällt das Laub;

Schenk ein den Wein, den holden!

Wir wollen uns den grauen Tag

Vergolden, ja vergolden!"

Kurz hinter Pahlen kommt dann doch mal ein kleines Segelboot um die Kurve - Schiffsverkehr! Da ich zu diesem Zeitpunkt am Steuer sitze winke ich dem Kapitän grüßend zu, und obwohl die Distanz etwas zu groß ist, kommt mir der Bootsführer irgendwie bekannt vor. "Volker Hansen?!" ruft er hinüber und mein Verdacht bestätigt sich. Es ist Peter, ein Tönninger Jugendfreund und Kanu-Kamerad aus den frühen 80er Jahren! Wir kommen längsseits, die Freude und die Überraschung sind groß, auch weil wir beide schon lange in Hamburg leben und uns dort eigentlich nie über den Weg laufen. Treffpunkt Eider. Drei Astra werden über die Bordkante des Segelbootes gereicht - wir plaudern und ohne Wind und Tidestrom hätten wir wohl den ganzen Nachmittag da nebeneinander liegen können. "Kinski" mahnt dann allerdings zur Weiterfahrt. Es gab nach Theodor Storm Lyrik noch einen weiteren Kulturauftrag: Die Kirche von Delve, einem kleinen Dorf im Norden Dithmarschens. "Die älteste urkundliche Erwähnung des Ortes datiert vom 7. Mai 1281 aus einem Vertrag mit der Stadt Hamburg. Zwischen 1140 und 1281 war bereits die Marienkirche als fester Feldsteinbau errichtet und das Kirchspiel Delve begründet worden" (Wikipedia). Auf dem Weg in den Ort fängt es leicht an zu regnen, als wir aus der Kirche herauskommen wird es mehr und dann hört es an diesem Tag auch nicht mehr auf. Und leider kam dann Süderstapel.

Beim Anlegen im Regen gegen 18:30 Uhr mahnt ein Campingwart knapp angebunden zur Eile. Er wolle gleich Feierabend machen und schnell nach Hause. Willkommen in Süderstapel! Okay, also nix wie raus, Boot an Land, Packsäcke in den Sanitärraum geschleudert, und mit einigermaßen großen Hunger- und Durstgefühl in den Ort. Heute wollen wir bloß nicht mehr selber kochen. Peng - Apocalypse now! Der berühmte Satz mit x, in Süderstapel gibt es nix! Eine Art Pizzeria hat "Heute Geschlossen". Der echte Kinski wäre wahrscheinlich komplett durchgedreht und hätte den Ort abgefackelt, unser "Kinski" behielt aber auch in dieser grauenhaften Situation die Nerven.

Wir hatten Vorräte, wir hatten Gaskocher und wir hatten das Vordach des Sanitärraumes, unter welchem wir trocken das "Gesche-Kochstudio" aufbauten. Der einzige Lichtblick an diesem Abend war der frühe Aufbruch am nächsten Morgen. Spätestens um 07:00 Uhr wollten wir diesen unwirtlichen Ort verlassen haben, um zur rechten Zeit den Tidebereich der Eider zu erreichen. Wir sollten ins Paradies gelangen.

An diesem fünften Reisetag fahren wir an einem grauen Vormittag um Punkt 10:00 Uhr in die Eiderschleuse Nordfeld (1934 - 1936) ein. Sie verbindet die untere Binneneider mit der Tideeider - und der Unterschied zwischen beiden ist optisch sofort zu erkennen. Gleich hinter der Schleuse fallen bei ablaufendem Wasser große, weiträumig aufgestellte Aalreusen im Schlickwatt auf. Das Wasser ist hellbraun und schmeckt salzig nach Nordsee. Eine halbe Stunde später schleusen wir erneut und erreichen um 12:00 Uhr die Grachten des Kulturdenkmals und "Holländerstädtchens" Friedrichstadt.

Während das Bootshaus der Rendsburger Ruderer durch sportliche Patina überzeugte, präsentiert sich das Clubhaus der Friedrichstädter Rudergesellschaft als der totale Gegenentwurf. Um die 500.000 Euro soll es wohl gekostet haben, funktional, modern und chic in der Ausstattung - mit einer unfassbar riesigen Dachterasse (200qm?) und einer TV-Kochshow-tauglichen Küche. Der Blick in den Kühlschrank, randvoll mit Flensburger Pilsener. Summertime and the living is easy!

In Friedrichstadt war dann auch der zweite, höchst willkommene Ruhetag angesetzt - zur allgemeinen Psychohygiene, und um der täglich voranschreitenden Verwahrlosung etwas entgegenzuwirken. Jeder konnte tun und lassen war er wollte. Herrlich, zumal das Wetter jetzt deutlich besser wurde. Der Sommer kam zurück! Phoebe kam fröhlich mit dem Zug angereist, und absolvierte mit "Kinski" ein Kulturprogramm, das seinesgleichen sucht. "Einstein" wanderte unter sonnigem Himmel nach Schwabstedt und ich nahm die Bahn zur grauen Stadt am Meer. Am frühen Abend trafen wir vier uns zum Fischessen auf dem Friedrichstädter Marktplatz, nachdem am Vorabend "Einstein" und ich die Bratkartoffeln aus dem Ofen relativ unfertig zu den Matjesfilets servierten.

Am 21. August legen wir bei traumhaften Sommerwetter um 9:00 Uhr in Friedrichstadt ab - vielen Dank für die tollen Tage im Luxus! Die 15 km bis Tönning sind bei ablaufendem Wasser und einer zunehmend schnelleren Strömungsgeschwindigkeit schnell erledigt. Die weitläufigen Wattflächen und die beeindruckenden Vogelschwärme lassen bereits hier den Nationalpark-Wattenmeer unschwer erahnen. "Kinski" und "Einstein" sind sichtlich beeindruckt - es heißt immer wieder "Ruder halt", um Fotos zu machen und Vögel zu bestimmen. Es ist mir ein großes Vergnügen, das Steuer die letzten acht Kilometer zum betonierten Anleger der Kanu Gemeinschaft Eiderstedt (KGE) zu übernehmen und "Sigyn" einigermaßen sicher gegen die reißende Strömung anzulegen. Mein Jugendrevier - Revierkenntnis, gelernt ist gelernt. Das Bootshaus im sogenannten "roten Schuppen" der KGE hat sich so gut wie gar nicht verändert. 30 Jahre war ich nicht hier. Mein Kajak "Störtebeker" begrüßt mich etwas vorwurfsvoll und verstaubt. Einst diente der "Rote Schuppen" als Lagerhaus für Stückgut der Tönning-Australien-Linie GmbH. In den Jahren 1905 - 1907 fuhren von hier Dreimastbarken nach Sidney und Melbourne. Kaum zu glauben.

Von meinem ehemaligen Vereinskollegen Claus erhalte ich den Bootshausschlüssel und gegen 13:00 Uhr begeben wir uns hungrig in die "Alte Fischerei Genossenschaft" am Hafen zum Fisch- und Krabbenverzehr. Die Tönninger Fischkutterflotte liegt hier leider nicht mehr. Aus wirtschaftlichen Gründen machen die Fischer in Dänemark oder am Eidersperrwerk fest, aber zu diesem beeindruckenden Bollwerk des Hochwasserschutzes wollten wir zum Schluss unserer Reise ja auch noch. Keine Eiderfahrt ohne das Eidersperrwerk (1967 - 1973) geschaut zu haben.

Und da taucht er dann plötzlich wieder auf - der kräftige Mann mit seinem Funkgerät. Wir wollten, obwohl die Versuchung groß war, natürlich nicht auf die Nordsee durchschleusen. Und gegen die mächtige Strömung in der Eidermündung wollten wir am letzten Tag natürlich auch nicht zurück nach Tönning rudern. Wir bitten um Erlaubnis, an Land gehen zu dürfen, um eine Rast einzulegen und den Wechsel der Tide an den gigantischen, 40 Meter langen Sieltoren dieses Jahrhundertbauwerkes abzuwarten. Wir dürfen, großes Kino in der ersten Reihe! Nach der Ebbe kommt meistens die Flut - so auch diesmal, und gut durchgebräunt sind wir am frühen Nachmittag wieder in Tönning.

Die kleine Hafenstadt feiert an diesem Wochenende ein großes Fest zur Verleihung von 450 Jahren Stadtrechten. Es war also einiges los in der kleinen Hafenstadt an der Eider, und "Kinski" und "Einstein" waren selbstverständlich auch im Multimar Wattforum, im historischen Packhaus, und zu Fuß oder mit dem Fahrrad im Herrenhaus Hoyerswort (1594), und im urigen Gasthaus Wilhelm Andresen in Katingsiel. In beeindruckender Eigeninitiative haben die beiden auch zu Lande einiges auf Eiderstedt "beschickt" bekommen. Das ging auf keine Kuhhaut.

Und dann kam am Sonntag "Coche" wieder souverän um die Ecke gebogen. Auf der Rückfahrt nach Hamburg stehen wir natürlich irgendwo wieder im Stau, und ich male mir aus, wie es gewesen wäre, doch auf die Nordsee durchgeschleust zu sein...

Nachlese: Als ich einige Tage später die Rechnung von "Gesche-Inkasso" zugestellt bekomme, kommt mir die sichere Erkenntnis, dass zehn Tage Aufenthalt zuhause in Hamburg wohl sicher teurer gewesen wären. Die zweite Erkenntnis dieser Reise: In einem Packsack lässt sich keine Ordnung halten! Vielen Dank an "Kinski", "Einstein" und "Coche" für diese erleuchtenden Einsichten; aber wo ist eigentlich der letzte Rest Ardmore abgeblieben? Die Flasche war noch nicht leer.

Cheers!

Volker Hansen


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